Steinlein-Wiki

Ertragswert

Inhaltsverzeichnis

Der Ertragswert ist der Wert einer Immobilie, der sich aus den nachhaltig erzielbaren Erträgen – in der Regel Mieteinnahmen – ableitet. Er bildet die zentrale Rechengröße im Ertragswertverfahren und ist besonders relevant für die Bewertung von vermieteten Wohnimmobilien, Mehrfamilienhäusern, Gewerbeimmobilien und gemischt genutzten Objekten. Anders als beim Sachwertverfahren, das die reinen Herstellungskosten betrachtet, steht beim Ertragswert die wirtschaftliche Nutzbarkeit und Rendite der Immobilie im Vordergrund.

Grundprinzip des Ertragswerts

Das Ertragswertverfahren folgt einem einfachen ökonomischen Prinzip: Eine Immobilie ist so viel wert, wie sie an nachhaltigem Ertrag abwirft. Dieser Ansatz entspricht der Investorenperspektive, bei der nicht die Substanz, sondern die Einnahmen über die verbleibende Nutzungsdauer entscheidend sind.

Der Ertragswert setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:

Bodenwert Der Bodenwert wird separat ermittelt, in der Regel über den Bodenrichtwert des örtlichen Gutachterausschusses. Er repräsentiert den Wert des unbebauten Grundstücks und bleibt über die Zeit weitgehend stabil oder steigt.

Gebäudeertragswert Der Gebäudeertragswert wird aus dem Reinertrag des Gebäudes abgeleitet. Dieser ergibt sich aus den Mieteinnahmen abzüglich der Bewirtschaftungskosten und wird über die Restnutzungsdauer kapitalisiert.

Die Formel lautet vereinfacht: Ertragswert = Bodenwert + Gebäudeertragswert

Ermittlung des Reinertrags

Der Reinertrag bildet die Grundlage der Ertragswertberechnung und wird in mehreren Schritten ermittelt:

Rohertrag (Jahresrohertrag)

Der Jahresrohertrag ist die Summe aller jährlichen Mieteinnahmen, die mit der Immobilie nachhaltig erzielbar sind. Dabei wird nicht die tatsächlich vereinbarte Miete zugrunde gelegt, sondern die marktübliche Miete zum Bewertungsstichtag. Diese wird aus Mietspiegeldaten, Vergleichsmieten oder Immobilienportalen abgeleitet.

Bei gemischt genutzten Objekten (z. B. Wohn- und Geschäftshäusern) werden Wohn- und Gewerbemieten getrennt erfasst und zusammengerechnet.

Bewirtschaftungskosten

Vom Rohertrag werden die jährlichen Bewirtschaftungskosten abgezogen. Diese umfassen:

  • Verwaltungskosten: Kosten für die Immobilienverwaltung (ca. 3-5 % des Rohertrags)
  • Instandhaltungskosten: Rücklagen für laufende Reparaturen und Instandhaltung (variiert je nach Gebäudealter und Zustand)
  • Mietausfallwagnis: Pauschale für mögliche Leerstände und Mietausfälle (ca. 2-4 % des Rohertrags)
  • Betriebskosten: Nur nicht umlegbare Betriebskosten (z. B. Versicherungen, Grundsteuer bei Leerstand)

Die Höhe der Bewirtschaftungskosten richtet sich nach der DIN 18960 und kann aus Erfahrungswerten oder den Vorgaben des örtlichen Gutachterausschusses abgeleitet werden.

Reinertrag

Reinertrag = Jahresrohertrag – Bewirtschaftungskosten

Der Reinertrag stellt den nachhaltigen jährlichen Überschuss dar, den die Immobilie erwirtschaftet.

Bodenwertverzinsung

Da der Bodenwert bereits separat als eigene Wertkomponente berücksichtigt wird, muss vom Reinertrag noch die Verzinsung des Bodenwerts abgezogen werden. Diese Bodenwertverzinsung wird mit dem Liegenschaftszinssatzberechnet:

Bodenwertverzinsung = Bodenwert × Liegenschaftszinssatz

Der verbleibende Betrag ist der Gebäudereinertrag, der zur Kapitalisierung herangezogen wird.

Kapitalisierung mit dem Liegenschaftszinssatz

Der Gebäudereinertrag wird mit dem Liegenschaftszinssatz kapitalisiert, um den Gebäudeertragswert zu ermitteln. Der Liegenschaftszinssatz ist ein marktüblicher Zinssatz, mit dem Erträge aus Grundstücksgeschäften verzinst werden. Er wird von den Gutachterausschüssen auf Basis tatsächlicher Kaufpreise und Erträge am lokalen Immobilienmarkt ermittelt und veröffentlicht.

Der Liegenschaftszinssatz variiert je nach:

  • Objektart (Wohnimmobilie, Gewerbeimmobilie)
  • Lage
  • Marktsituation
  • Restnutzungsdauer

Typische Liegenschaftszinssätze liegen zwischen 2,5 % und 5,5 %. Je niedriger der Zinssatz, desto höher der kapitalisierte Ertragswert.

Die Kapitalisierung erfolgt über den Vervielfältiger (auch Barwertfaktor genannt), der die Restnutzungsdauer des Gebäudes berücksichtigt. Der Vervielfältiger wird nach folgender Formel berechnet:

Vervielfältiger = (1 + Liegenschaftszinssatz)^Restnutzungsdauer – 1 / [Liegenschaftszinssatz × (1 + Liegenschaftszinssatz)^Restnutzungsdauer]

Der Gebäudeertragswert ergibt sich dann:

Gebäudeertragswert = Gebäudereinertrag × Vervielfältiger

Restnutzungsdauer

Die Restnutzungsdauer ist die Anzahl der Jahre, in denen das Gebäude voraussichtlich noch wirtschaftlich nutzbar ist. Sie hängt ab von:

  • Gesamtnutzungsdauer: Standardwerte liegen je nach Bauweise zwischen 60 und 100 Jahren
  • Alter des Gebäudes
  • Modernisierungsgrad
  • Zustand und Instandhaltung

Die Restnutzungsdauer wird nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) berechnet:

Restnutzungsdauer = Gesamtnutzungsdauer – Alter + Verlängerung durch Modernisierung

Umfassende Modernisierungen können die Restnutzungsdauer deutlich verlängern und somit den Ertragswert erhöhen.

Besonderheiten bei der Ertragswertermittlung

Marktanpassung

In der Praxis kann es vorkommen, dass der rechnerisch ermittelte Ertragswert nicht den tatsächlich am Markt erzielbaren Preisen entspricht. Dies kann durch besondere Marktlagen, spekulative Entwicklungen oder strukturelle Veränderungen bedingt sein. In solchen Fällen kann eine Marktanpassung erforderlich werden, bei der der Ertragswert um einen Zu- oder Abschlag korrigiert wird.

Staffelmieten und Indexmieten

Bei Mietverträgen mit Staffelmieten oder Indexmieten muss der Sachverständige prüfen, ob die vereinbarten Mietsteigerungen über der marktüblichen Entwicklung liegen und entsprechend einen Durchschnittswert ansetzen.

Denkmalgeschützte Immobilien

Denkmalschutz kann sich sowohl werterhöhend (Steuervergünstigungen, besondere Lage) als auch wertmindernd (hohe Instandhaltungskosten, Einschränkungen bei Modernisierungen) auswirken.

Erbbaurecht

Liegt ein Erbbaurecht vor, muss der Erbbauzins bei der Ertragsberechnung berücksichtigt werden. Der Ertragswert bezieht sich dann nur auf das Gebäude, nicht auf den Bodenwert.

Anwendungsbereiche des Ertragswertverfahrens

Das Ertragswertverfahren ist das bevorzugte Verfahren für:

  • Mehrfamilienhäuser mit Mieteinnahmen
  • Vermietete Eigentumswohnungen
  • Wohn- und Geschäftshäuser (gemischte Nutzung)
  • Gewerbeimmobilien (Bürogebäude, Einzelhandelsobjekte)
  • Renditeimmobilien für Investoren

Nicht geeignet ist das Ertragswertverfahren für:

  • Selbstgenutzte Einfamilienhäuser (hier: Vergleichswertverfahren oder Sachwertverfahren)
  • Spezialimmobilien ohne Mietmarkt
  • Unbebaute Grundstücke

Bedeutung für die Immobilienbewertung

Der Ertragswert ist für professionelle Immobiliensachverständige bei vermieteten Objekten das zentrale Bewertungskriterium. Anders als der Verkehrswert, der den Marktwert abbildet, zeigt der Ertragswert die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Immobilie. Er ist besonders relevant für:

Investitionsentscheidungen Investoren und Kapitalanleger orientieren sich am Ertragswert, um die Rendite einer Immobilie zu bewerten und Kaufpreise zu rechtfertigen.

Finanzierung und Beleihung Banken berücksichtigen den Ertragswert bei der Ermittlung des Beleihungswerts für die Kreditvergabe. Eine hohe und stabile Rendite erhöht die Beleihungsfähigkeit.

Verkauf und Vermarktung Bei der Vermarktung von Renditeobjekten ist der Ertragswert ein zentrales Verkaufsargument. Er wird häufig in Relation zum Kaufpreis gesetzt (Kaufpreisfaktor oder Cap Rate).

Gerichtliche und steuerliche Bewertungen Bei ErbschaftsgutachtenScheidungsgutachten oder steuerlichen Bewertungen für das Finanzamt ist das Ertragswertverfahren bei vermieteten Objekten das bevorzugte Verfahren gemäß ImmoWertV.

Ertragswert vs. Sachwert

Der Unterschied zwischen Ertragswert und Sachwert liegt im Bewertungsansatz:

Sachwertverfahren: Orientiert sich an den Herstellungskosten des Gebäudes plus Bodenwert. Geeignet für selbstgenutzte Immobilien oder wenn keine Vergleichspreise vorliegen.

Ertragswertverfahren: Orientiert sich an den erzielbaren Erträgen. Geeignet für vermietete Immobilien, bei denen die Rendite im Vordergrund steht.

In der Praxis kann es vorkommen, dass Sach- und Ertragswert erheblich voneinander abweichen – etwa bei aufwendig sanierten Altbauten mit niedrigen Mieterträgen oder bei einfachen Gebäuden in Toplagen mit hohen Mieten.

Häufige Fehlerquellen

Bei der Ermittlung des Ertragswerts können folgende Fehler auftreten:

  • Unrealistische Mietansätze: Zu hohe oder zu niedrige Mietannahmen verfälschen den gesamten Ertragswert
  • Falsche Bewirtschaftungskosten: Übersehen von Instandhaltungsrücklagen oder Verwaltungskosten führt zu Überbewertung
  • Veraltete Liegenschaftszinssätze: Verwendung nicht aktueller Zinssätze führt zu falschen Kapitalisierungen
  • Unzutreffende Restnutzungsdauer: Falsche Einschätzung des Gebäudezustands verzerrt den Vervielfältiger
  • Nichtbeachtung von Sondereinflüssen: Denkmalschutz, Altlasten oder Erbbaurechte müssen berücksichtigt werden

Fazit

Der Ertragswert ist das zentrale Bewertungskriterium für renditeorientierte Immobilien und bildet die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Objekts ab. Die Ermittlung nach den Vorgaben der ImmoWertV erfordert fundierte Marktkenntnisse, präzise Datenerhebung und Erfahrung in der Bewertung. Für Eigentümer vermieteter Immobilien, Investoren und bei erbrechtlichen oder steuerlichen Bewertungen ist ein professionell ermittelter Ertragswert durch einen qualifizierten Sachverständigen – idealerweise mit HypZert-Zertifizierung – unverzichtbar. Er schafft Transparenz, Rechtssicherheit und bildet die Grundlage für fundierte wirtschaftliche Entscheidungen. Wer den Ertragswert seiner Immobilie kennt, kann deren Marktposition realistisch einschätzen und sowohl beim Verkauf als auch bei der Finanzierung optimal agieren.

Unser Leistungen

Immobilienbewertung Steinlein

Seit 2017 beschäftigen wir zertifizierte Immobiliengutachter für die Bewertung von Immobilien. Unabhängig und neutral erstellen wir Kurzgutachten (Verkehrswert), Verkehrswertgutachten sowie Markt- und Beleihungswertgutachten für finanzwirtschaftliche Zwecke. 

Fachwissen wird regelmäßig durch die HypZert, die nach DIN EN ISO 17024:2012 zertifiziert und bei der Deutschen Akkreditierungsstelle DAkkS gelistet ist, geprüft. Eine Vielzahl an Weiterbildungen im Immobilienbereich garantieren eine hohe Qualität unserer Gutachten.